Louis Renault
Louis Renault
mit seinem ersten Auto
Paris, Dezember 1898:
Das kleine Automobil, das sich tapfer die 13-prozentige Steigung der Rue Lepic zum Montmartre hinauf kämpft, reißt die überraschten Passanten aus ihren Weihnachtsvorbereitungen. Doch für den jungen Mann am Steuer der zierlichen „Voiturette" sollte dieser ungewöhnliche Test den Durchbruch bedeuten: Der damals erst 22 Jahre alte Louis Renault hatte sein wegweisendes 1,75-PS-Gefährt selbst in einem schlichten Holzschuppen auf die Räder gestellt, der im elterlichen Garten von Boulogne-Billancourt steht. Die Probefahrt weckte bei Freunden und Bekannten des genialen Konstrukteurs spontane Begeisterung - innerhalb weniger Tage erhielt Renault den ersten Auftrag über den Bau von zwölf Automobilen.
Dass aus dem vierten Kind eines wohlhabenden Tuchfabrikenten aus Paris einmal eine der führenden Unternehmerpersönlichkeiten Europas werden sollte, dies lag in seiner frühen Jugend nicht unbedingt auf der Hand: Louis Renaults Schulnoten ließen oft zu wünschen übrig. So wenig wie sich der Franzose für den Unterrichtsstoff interessierte, so ungebremst lechzte sein Wissensdurst nach mechanischen und technischen Zusammenhängen. So staunte der Zugführer des Schnellzugs von Paris nach Le Havre nicht schlecht, als aus dem Tender seines Dampfzug plötzlich der zehnjährige Louis Renault hervorkrabbelte - der Knabe wollte aus erster Hand wissen, wie Lokomotiven funktionieren. Wenig später entwarf er ein kleines Dampfschiff mit Serpollet-Kessel, das ganz offiziell die Zulassung für den Schiffsverkehr erhielt.
Sein erstes Automobil, die „Voiturette", zeichnete sich denn auch gleich durch ein revolutionäres Patent aus, das für die weitere Entwicklung des Unternehmens Renault von entscheidender Bedeutung sein sollte: die Erfindung des kettenlosen Antriebs, die die Motorkraft über ein selbst entworfenes Dreigang-Getriebe und starre Wellen an die Hinterräder übertrug. Die Lizenzgebühren, die Louis Renault fortan von anderen Autoherstellern für diese Technik einnimmt, finanzieren den kometenhaften Aufstieg der neuen Marke. Bereits zur Jahrhundertwende beschäftigte die junge Firma mehr als 100 Mitarbeiter.
Louis Renault selbst jedoch blieb zunächst Tüftler und Techniker. Die kaufmännischen Geschicke übernahmen seine älteren Brüder Marcel und Fernand. Schon bald entdeckten sie den Motorsport als probates Mittel, die junge Marke über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt zu machen. Bereits 1899 gewannen Louis und Marcel die Wettfahrt Paris-Trouville, danach auch Paris-Oostende und Paris-Rambouillet. 1900 folgen erste Plätze bei den Langstrecken-Wettbewerben Paris-Bordeaux und Paris-Toulouse - allein dieser Erfolg brachte dem aufstrebenden Unternehmen 350 Bestellungen ein.
Doch die gefährliche Rennerei forderte Opfer:
1903 verunglückte Marcel Renault bei der Wettfahrt Paris-Madrid tödlich. Louis beendete geschockt seine eigene aktive Karriere als Rennfahrer und überließ das Steuer fortan anderen - zum Beispiel dem Ungarn Ferenc Szisz, der 1906 mit einem 30-minütigen Vorsprung den ersten Grand Prix der Automobilgeschichte auf einem Renault 90 CV für sich entscheiden konnte. Doch das Schicksal hielt einen weiteren Rückschlag für den Techniker bereit: 1909 stirbt völlig unerwartet auch sein Bruder Fernand. Der begnadete Konstrukteur - der Zeit seines Lebens davon träumte, aufs Land zu ziehen, um sich nur noch der Erfindung neuer Maschinen zu widmen - übernahm fortan die alleinige Geschäftsführung.
Die ungeliebte Rolle des „Grand Patron" füllte Louis Renault jedoch par excellence aus. Inspiriert von Henri Ford, errichtete er auf der Seine-Insel Séguin ein für die damalige Zeit gigantisches Produktionswerk mit einem 1,5 Kilometer langen Fließband, dem längsten außerhalb der USA. Zugleich baute der Franzose die Modellpalette seiner Firma konsequent aus: Vom 1919 eingeführten Basismodell Renault 10 CV, der europäischen Antwort auf das Model T von Ford, bis hin zur luxuriösen Pullman-Limousine 40 CV mit 9,1-Liter-Sechszylinder für die Reichen und Schönen der Pariser Hautevolee - die Marke mit dem Rhombus im Firmensignet entwickelte sich auf dem alten Kontinent schon früh zu einem der ersten Generalisten.
Zugleich bewahrte sich Louis Renault eine skeptische Haltung gegenüber Einflüssen von außen, seien es Zulieferer - die er für unzuverlässig hielt - oder Financiers. Die Expansion seines längst multinational operierenden Konzerns etwa bewerkstelligte er komplett aus eigenen Ressourcen und verzichtete bereitwillig auf die Mithilfe von Banken. Diese gesunde Eigenkapitaldecke half dem Autohersteller auch, die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre zu überleben.
Es war der Zweite Weltkrieg, der für den Menschen als auch für das Unternehmen Renault eine einschneidende Wende bringen sollte. 1940 okkupierten deutsche Besatzungstruppen die Werke des französischen Herstellers, fortan liefen dort Lkw für die Wehrmacht vom Band - bis die Fabriken von britischen Fliegerverbänden zerstört wurden. 1944, nach der Befreiung von Paris, wurde Louis Renault unter dem Vorwurf der Kollaboration verhaftet. Schwer krank, verstarb der Industrielle am 24. Oktober 1944. Sein Lebenswerk wurde verstaatlicht.