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Bulletin
Nennung
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C.A.R. Autriche
Postfach 318
A-1210 Wien
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PARIS -
WIEN 1902
2002 bezeichnet das 100. Jubiläum des gefeierten Rennens Paris - Wien, das
von Marcel Renault so geschickt gewonnen wurde und das viele Menschen als den größten
Sieg aller Zeiten für Renault betrachten.
Der kleine 16 HP Renault war wie David gegen die Goliaths, inmitten der großen
70 HP Panhards, 60 HP Moris, 40 HP Mercedes, etc. Aber er bewies, dass die
Entscheidung von Louis zugunsten von geringerem Gewicht und besserer Manövrierbarkeit
anstelle purer Kraft die richtige war.
Ein weiterer zufriedenstellender Punkt war die Taufe des neuen 4-Zylinder
Motors von Renault, der den Bruch von De Dion bewies, der bis dahin Renault mit
1- oder 2-Zylindermotoren beliefert hatte. Was das Rennen selbst betraf:
Louis und Marcel Renault traten in der Kategorie der leichten Fahrzeuge an
und man erwartete sie während der ersten Etappe von Champigny nach Belfort, die
schnell und relativ gerade war. Der 13,7 Liter Panhard lag in diesem größten
Rennen des Jahres in Führung. Trotzdem liefen die beiden Renault recht gut und
in Belfort war Louis 9. und Marcel 18. im Gesamtklassement von 137 Startern.
Die zweite Etappe von Belfort nach Bregenz wurde neutralisiert, weil die
Schweizer keine Automobilrennen erlaubten.
Dann kam die eigentliche Prüfung, als die Fahrzeuge mit den rauen österreichischen
Straßen in extrem schlechtem Zustand konfrontiert wurden, wie auch mit dem
Arlberg Pass - der sich in 1793 m Seehöhe befindet. Unter diesen Umständen
konnten die Renault ihre Leistungsfähigkeit beweisen, sie waren wendiger,
leichter lenkbar, konnten besser bremsen und wurden weniger von den zahllosen
Bordsteinkanten, Schlaglöchern und wechselnden Straßenverhältnissen in
Mitleidenschaft gezogen.
In Salzburg stellte Marcel fest, dass er auf Grund einiger Schwierigkeiten
nicht mehr die Unterstützung seines Bruders Louis hatte und er beschloss, dass
alles von ihm abhing und fuhr begeistert weiter. In diesem Augenblick waren noch
4 Panhards, 1 Darracq und 1 Mercedes vor dem Renault.
Die großen Fahrzeuge, mit ihren leistungsstarken Motoren, wurden durch die
entsetzlichen Straßen enorm belastet, aber Marcel setzte seine Jagd
erbarmungslos fort, überholte seine Konkurrenten und holte schließlich auch
den Panhard von Maurice Farman ein, durchquerte die Staubwolken und fuhr an ihm
vorbei. Der nächste zu Überholende war der Mercedes von Sborowski, dann der
Panhard von Henri Farman und schließlich war der kleine Renault von Marcel an
der Spitze des Rennens.
Wie die Geschichte erzählt, erwartete niemand den Renault beim Ziel im
Wiener Prater, weil man erst gegen 15 Uhr mit der Ankunft des ersten Fahrzeuges
rechnete und Marcel 2 Stunden früher auftauchte.
Ursprünglich dachte man, dass Marcel geschummelt hatte, aber schließlich
kam die Wahrheit zu Tage und man musste rasch das Orchester vom Mittagstisch
wegholen, um die Marseillaise zu spielen.
Was die Österreicher bei diesem Sieg am meisten beeindruckte war, dass
Renault den Arlberg Express, der zu diesem Zeitpunkt als Europas schnellster Zug
galt, um 7 Stunden geschlagen hatte.
Über all das verdiente Lob über den Sieg von Marcel sollte man die
bemerkenswerten Anstrengungen von Louis nicht vernachlässigen, der seinen
Bruder einmal überholt hatte. Unglücklicherweise fuhr der Mercedes von Baron
de Caters am Kontrollpunkt in Innsbruck zu knapp am Renault vorbei, erwischte
ein Rad, verdrehte die Achse und beschädigte eine Aufhängung. Louis Renault
und sein freiwilliger Mechaniker Szisz arbeiteten wütend und schwitzend an der
Reparatur der Schäden. Nach 4 Stunden Arbeit konnten sie wieder losfahren, als
die Nacht hereinbrach. Ungeduldig weiterzukommen, wollte Louis nicht anhalten um
die Scheinwerfer anzumachen, deshalb sahen sie auch nicht Absperrung vor einem
Niveauunterschied, durchbrachen beide diese und endeten mit verbogener
Vorderachse, beschädigtem Kühler und, was am schlimmsten war, mit einem
gebrochenen Rad.
Louis und Szisz nahmen die Achse und das Rad, trugen sie zur nächsten
Ortschaft und holten den Schmied aus dem Bett, damit dieser Szisz beim
Geradebiegen der Achse helfen konnte, während Louis Renault mit einem
Taschenmesser neue Radspeichen aus Sesselbeinen schnitzte und das Rad wieder in
Stand setzte.
Sie beschlossen nicht zu versuchen, den Kühler zu reparieren und fuhren
weiter mit Louis am Lenkrad. Szisz, auf der Haube liegend, füllte Liter weise
Wasser in den kochenden Kühler. Louis fuhr derart gut, dass er letztendlich den
28. Platz im Gesamtklassement erreichte, die beiden Unfälle hatten ihn so viel
Zeit gekostet um ein besseres Ergebnis erreichen zu können, obwohl er auf der
letzten Etappe Zweitschnellster war.
Dieser Sieg von Marcel Renault wurde mit einer erschreckenden
Schnittgeschwindigkeit von 63 km/h, alle Stopps eingerechnet, erreicht und
bewies die Lehre des Verhältnisses von Leistung zu Gewicht, vor der viele Leute
Louis als zu riskant gewarnt hatten. Wie auch immer, man hatte nicht mit dem
mechanischen Genie von Louis Renault gerechnet, der daran glaubte, dass „Kraft
nicht alles ist, wirklicher Fortschritt verlangt den Bau eines leichten aber
leistungsfähigen Fahrzeugs“.
Erwähnenswert
ist auch, dass Ferenc Szisz, der Louis Renault 1902 so großartig als Mechaniker
unterstützt hatte, 1906 von seinem Dienstgeber ein eigener Rennwagen zur Verfügung
gestellt wurde, mit dem Szisz beim ersten Grand Prix der Geschichte in Le Mans
auch tatsächlich siegte.


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